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MAX FRISCH, HOMO FABER: ÜBER DIE WAHRSCHEINLICHKEIT DES UNWAHRSCHEINLICHEN

 

MAX FRISCH, HOMO FABER: ÜBER DIE WAHRSCHEINLICHKEIT DES UNWAHRSCHEINLICHEN


                                      Sam Shepard als Homo Faber im 1991 Film


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Paris, so gegen Mitte des Jahres 1993. Ich frequentierte damals die Bibliothéque Nationale, Richeliu, deren Hauptlesesaal einer der schönsten auf der Welt ist. Jetzt ist jener Saal nur Spezialisten zugänglich, da das „Hauptgeschäft“ der Bibliothéque Nationale sich in Tolbiac beheimatete, in den zwei Türmen, die den Namen des ehemaligen Präsidenten François Mitterrand tragen.

Zwischen den noblen Regalen und Wänden von Richelieu lernte ich eine junge deutsche Dame kennen, die einerseits dabei war, ihre Promotion an der École des Hautes Études en Sciences Sociales voranzutreiben. Ein paar Mal gingen wir zusammen zu den Vorlesungen des französischen Philosophen Jacques Derrida (*1930-2004) . Es war – glaube ich – in einem kleinen Café an der Ecke von Rue des Petits Champs und Rue Vivienne, also ungefähr achtzig Meter von dem lateralen Eingang (Vivienne) zur Bibliothek, wo ich ihr erwähnte, ich sei dabei, den Homo Faber von Max Frisch zu lesen. Ihr Gesicht veränderte sich im Nu, ihre Augen wurden größer und traten spiegeleierartig hervor, als sie sagte:

- Die Geier! Die Geier!


Sie bezog sich auf die Zopilote, die Aasgeier, die in den Szenen in Südmexiko und in Guatemala eine gewichtige Rolle spielen, sogar als „Vorzeichen“ der noch-zukommenden Ereignisse agieren.

 



Über die Zopiloten und den Untergang der weißen Rassen.


„Was Herbert nicht ertrug, waren die Zopilote, dabei tun sie uns, solange wir leben, überhaupt nichts, sie stinken nur, wie von Aasgeiern nicht anders zu erwarten, sie sind häßlich, und man trifft sie stets in Scharen, sie lassen sie kam verscheuchen, wenn einmal an der Arbeit, alles Hupen ist vergeblich, sie flattern bloß, hüpfen um das ausgerissene Aas, ohne es aufzugeben … Einmal, als Herbert am Steuer saß, packte ihn ein regelrechter Koller; plötzlich gab es Vollgas – los und hinein in die schwarze Meute, mitten hinein und hindurch, so dass es von schwarzen Federn nur so wirbelte.

Nachher hatte man es an den Rädern.

Der süßliche Gestank begleitete uns noch stundenlang, bis man sich überwand; das Zeug klebte in den Pneu-Rillen, und es half nichts als peinliche Arbeit, Rille um Rille – zum Glück hatten wir Rum! - Ohne Rum, glaube ich, wären wir umgekehrt – spätestens am dritten Tag – nicht aus Angst, aber aus Vernunft.

Wir hatten keine Ahnung, wo wir sind1.

Irgendwo am 18. Breitengrad.“2

Sofort danach kommt ein Absatz, der die einzigartig stilistische Fähigkeit des Autors hervorteten läßt und, en passant, das thematische Hintergrund des Romans einleitet. Was am Anfang vielen als ein Gerede im Bierzelt vorkommen könnte, von vielen „Schnapsideen“ illuminiert, ist in der Tat eine humorvolle, lustige, jedoch präzise Bemalung des Weltgeistes und des Weltschmerzes jener Epoche. Und vielleicht auch unserer.


„Marcel sang, Il etait3 un petit navire, oder er schwatzte wieder die halbe Nacht lang: -von Cortez4 und Montezuma (das ging noch, weil historische Tatsache) und vom Untergang der weißen Rasse (es war einfach zu heiß und zu feucht, um zu widersprechen), vom katastrophalen Scheinsieg des abendländischen Technikers (Cortez als Techniker, weil er Schießpulver hatte) über die indianische Seele und was weiß ich, ganze Vorträge über die unweigerliche Wiederkehr der alten Götter (Nach Abwurf der H-Bombe!) und über das Aussterben des Todes (wörtlich!) dank Penicillin, über Rückzug der Seele aus sämtlichen zivilisierten Gebiete der Erde, die Seele im Maquis usw., Herbert erwachte an dem Wort Maquis, das er verstand, und fragte: Was sagt er? Ich sagte: Künstlerquatsch! Und wir ließen ihm seine Theorie über Amerika, das keine Zukunft habe. The American Way of Life: Ein Versuch, das Leben zu kosmetisieren, aber das Leben lasse sich nicht kosmetisieren.

Ich versuchte zu schlafen.

Ich platze nur, wenn Marcel sich über meine Tätigkeit aüßerte, beziehungsweise über die Unesco: der Techniker als letzte Ausgabe des weißen Missionars, Industrialisierung als letztes Evangelium einer sterbenden Rasse, Lebensstandard als Ersatz für Lebenssinn -

Ich fragte ihn, ob er Kommunist sei,

Marcel bestritt es.“5


Der Roman Homo faber. Ein Bericht (1957) von dem schweizerischen Max Frisch (*1911-1991) ist einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Romane der Nachkriegszeit. Nicht nur Welterfolg, übersetzt in mehr als 26 Sprachen, sondern auch Bestandteil des Kanons, Pflichtlektüre im Schulunterricht. Man könnte sogar riskieren, dass bis dato mehr als 7 Millionen Exemplare verkauft worden sind, mindestens fünf Millionen im deutschsprachigen Raum. Ein anderer wichtiger Roman, Stiller, erschien 1954.


Zwei Ereignisse haben den Autor Max Frisch heutzutage wieder ins Rampenlicht gebracht. 2022 erschien der Briefwechsel zwischen ihm und der Dichterin Ingeborg Bachmann (*1926-1973), eine Liaison, die tiefe, vielleicht sogar unheilbare, Spuren in beiden Menschen eingravierte. 



Vor einigen Wochen kam der Film „Ingebor Bachmann. Reise in die Wüste“ (2023) auf den Bildschirm, von Margarethe von Trotta, der größenteils sich dem turbulenten Verhältnis zwischen der österreichischen Schriftstellerin und dem schweizerischen Romancier widmet. Ein Beitrag für unseren Blog, zur Ehre der Autorin von Malina, deren Kurzerzählungen uns schon Anfang der 70ger Jahre begeisterten, ist schon längst vorgeplant und soll sich in den nächsten Monaten materialisiert. 

 



Vom Dschungel als Niemandsland für eine Auszeit, um die Saat des kommenden Infernos zu pflanzen.


Worum geht es? Auf der Oberfläche des Textes geht es um den Schweizer Walter Faber, der in den 50ger Jahren die ganze Welt verreist, als Ingenieur im Auftrag der Unesco,6 und der bald auch die Fünfziger Grenze erreichen wird. Wir beginnen in New York, wo er auf eine teure Bude und eine amerikanische Geliebte verfügt („… sie wußte, dass ich grundsätzlich nicht heirate ...“7). Es schneit, daher verspätet sich sein Flug nach Caracas, via Mexiko. Im Flugzeug triff er auf einen Deutschen, Herbert, der auf dem Weg nach Guatemala ist, wo sein Bruder, Joachim, eine Tabakplantage schon in Gang gesetzt haben sollte (Ich mag die Deutschen nicht, obschon Joachim, mein Freund, auch Deutscher gewesen ist...“8). Zuerst ein Propeller hört auf, zu funktionieren, dann ein zweiter, eine „Bruchlandung“ sei unvermeidbar, und in der Tat überleben alle reibungslos eine „Bauchlandung“ der „Super-Constellation“ irgendwo im Dschungel in Südmexiko. Da wird er Nachricht bekommen von Hanna, einer deutschen „Halbjüdin („Ich nannte sie eine Schwärmerin und Kunstfee. Dafür nannte sie mich: Homo Faber9, mit der er in den 30ger Jahre in der Schweiz liiert war10, und die er heiraten wollte, um ihr einen schweizerischen Pass zu besorgen („Es war die Zeit als die jüdischen Passen annulliert wurden“11.

Aus Respekt für diejenigen die den Roman noch nicht gelesen haben, werden wir all die Schlüsselereignisse der „Tragödie“ (weil es geht am Ende doch um eine Reformulierung einiger alten griechischen Tragödien) nicht erwähnen. Es gibt zahlreiche Bücher und Aufsätze, die den Roman kritisch konfrontieren12, daher beschränken wir uns hier auf eine eher persönliche mise-en-valeur.

Die Seiten 21-56 beschäftigen sich mit den Ereignissen in Mexiko und Guatemala. Das erste Mal, denn es kommt ein zweites Mal, als Walter Farbe, nach dem Entpuppen der Tragödie und den längst versteckten Wahrheiten, kehrt zurück, um in den Spuren der „jüngsten“ Vergangenheit irgendwelches Licht für die Zukunft zu gewinnen. Vielleicht die gelungensten Seiten des ganzen Romans, (man könnte sogar sagen, sie gehören zu den gelungensten Seiten der deutschsprachigen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) Man bleibt einfach in dieser – künstlerisch brillant rekonstruiert – Landschaft von „Luft wie flüssiges Glas“ verhext, narkotisiert. 13


Ringsum nichts als Agaven, Sand, die rötliches Gebirge in der Ferne, ferner, als man vorher geschätzt hat, vor allem Sand und nochmals Sand, gelblich, das Flimmern der heißen Luft darüber, Luft wie flüssiges Glas“.

Auf dem Weg nach Guatemala:

Schon in Campeche empfing uns die Hitze mit schleimiger Sonne und klebriger Luft, Gestank von Schlamm, der an der Sonne verwest, und wenn man sich den Schweiß aus dem Gesicht wischt, so ist es, als stinke man selbst nach Fisch. Ich sagte nichts mehr. Schließlich wischt man sich den Schweiß nicht mehr ab, sondern sitzt mit geschlossenen Augen und atmet mit geschlossenem Mund, Kopf an eine Mauer gelehnt, die Beine von sich gestreckt.“14

Pause in einem „Hotel“:


Im Hotel gibt es wenigstens eine Dusche, ein Handtuch, das nach Campfer riecht wie üblich in diesen Gegenden, und wenn man sich duschen will, fallen die fingerlangen Käfer aus den schimmligen Vorwand – ich ersäufte sie, doch kletterten sie nach einer Weile immer wieder aus dem Ablauf hervor, bis ich mit der Ferse zertrat, um mich endlich duschen zu können.“15


Fünf Tage hingen wir in Palenque.

Wir hingen in Hängematten, allzeit ein Bier in greifbarer Nähe, schwitzend, als wäre Schwitzen unser Lebenszweck, unfähig zu irgendeinem Entschluss, eigentlich ganz zufrieden, denn das Bier ist ausgezeichnet, Yucateca, besser als das Bier im Hochland, wir hingen in unseren Hängematten und tranken, um weiter schwitzen zu können, und ich wusste nicht, was wir eigentlich wollten.“16 (…) „Man vergisst hier alles.17


Nur jemand, der solche Landschaften, unter denjenigen Wetterverhältnissen, besucht hat, kann es so literarisch wieder ins Leben rufen. In der Tat entsprechen fast alle „Stationen“ im Text dem Parcours von Max Frisch selbst, kurz vor dem Entstehen des Romans. Und nur jemand, der dieses „ewiges Schwitzen“ unter einer klebrigen Sonne erfahren hat, sei es in Mexiko und Guatemala, oder sei es in Nordafrika oder in Brasilien, kann beurteilen, ob das, das im Roman geschildert wird, schlicht echt ist. Da kommt keine forcierte oder strapazierte Erfindung der Imagination vor. Der Autor dieser Zeilen hat vielmals die selbe Erfahrung gemacht, dieses sich im "Land-des-ewigen Schwitzens“ paralysiert zu befinden, jenes Dasein in einem platten Da, dessen Konturen von den höllischen Sonne, von dem feuchten Dunst, und von allerlei Insekten und kleinen (sogar großen) Bestien auseinandergenommen wird. Eine Art „Auszeit“ im „Niemandsland“.. Man wird halb-blind, man tut nichts, man denkt ab und an, aber das Gedachte betrifft knochenhart den Kern des vorigen Lebens, und die Frage nach einem „Weitergehen“ wird zunehmend wackliger, sinnloser. Alle „Leichen im Koffer der Erinnerung“ tauchen wieder auf, als wäre der Schweiß dabei, uns langsam aber persistent an den Rand der Klippen zu schieben.Man vergisst hier alles“ bezieht sich auf die Gegenwart - und nur darauf.

Es ist eine Art, sich einer erwünschten braun-grünen „Hölle“ zu bemächtigen, eher privilegiert da gutes Bier fast immer vorhanden ist, um Abstand zu nehmen“. Aber in dieser „Hölle“ begegnet Walter Faber seine ganze Vergangenheit, und entdeckt die, bisher, unbekannten Konsequenzen seines damaligen Agierens. Kurz danach tritt er sein privatissime Inferno ein, das am Anfang wie ein Paradies aussieht.

Es fungiert auch als „Kontrapunkt“ zu dem Schnee und Glamour in New York (Studebaker, „Lippenstiftrot“, eingeschlossen) und der Schiffsreise nach Paris, plus das charmante Flanieren durch Frankreich, Italien und Griechenland. Zweifellos ein seht gut konzipierter Roman, obgleich die letzte Version wichtige Variationen gegenüber der ersten vorzeigte.

Das Erstaunliche: Kaum haben wir die ersten zwanzig Seiten überstanden (und genossen), da müssen wir zugeben, dass, dank einer von den vielen Flashforwards (Vorausblenden)18, wir im Besitz all der wichtigen Einzelheiten der „Story“ des Romans sind. Der Ingenieur Walter Faber wird eine junge Frau kennenlernen, diese wird doch später sterben, er wird auch erfahren, dass er Vater ist, und dass seine Tochter (keine weiß von der Blutsverwandtschaft) ihm auf einem Schiff näher kommen wird. Alle Ereignisse liegen weit außerhalb der statistischen Probabilistik.


Warum lesen wir vorwärts? Weil wir von der Prosa weiter geschleppt werden, es zieht uns voran, es wirkt wie ein Magnet. Die Sprache ist schlicht, manchmal sogar karg, aber sie fließt einfach, es ist meistens eine Umgangssprache, die uns spontan erreicht und berührt, wir schwimmen mit ihr unbeschränkt, heiter und neugierig. Aber dem Text liegt ein Flickenteppich zugrunde, dessen Fäden uns ständig „Positionslichter“ anbieten, die vor allem mit bedeutenden Figuren der griechischen und römischen Mythologien zu tun haben. Und nicht nur diejenigen. Zu erst gibt es eine Schreibmaschine („… ich hasse Handschrift“…), eine „Hermes-Baby“. Im Film ist es eine Olivetti Lettera 22. Hermes, als Gottesbote nun, und wir müssen davon ausgehen, dass nach dem von der Technik geblendeten Verstand Fabers, selbst der Postbote Gottes (zumindest Zeus), nur maschinell seine Botschaften den inferioren Wesen überreichen kann.

Nota bene: Die Flashbacks und Flashforwards stören nicht den linearen Genuss des Romans. Ganz im Gegenteil.

Ein „moderner“ Roman, der ständig mit klug konzipierten Flashbacks (Rückblenden) und Flashforwards (Vorausblenden) uns durch die mannigfaltigen Ebenen von Gegenwart und Vergangenheit karambolieren lässt, und dessen „zweiter Teil“ (obgleich der nur einem Fünftel des Textes entspricht) ein „Tagebuch ist, geschrieben von Walter Faber, als er im Krankenhaus in Griechenland wartet, einer schicksalhaften Operation entgegenkommend. Der letzte Satz des Romans: „08.05 Uhr. Sie kommen“. Es ist das Ende, aber dieses „Ende“ verwandelt sich in ein „Kontinuum“, da wir keinen konkreten Hinweis haben, Walter Faber sei doch, dank einer missglückten chirurgischen Intervention, gestorben. „Was wäre denn passiert, wenn? … Diese Frage stellen wir uns, als Leser und Leserinnen, schon am Anfang des Romans. Und viel öfter nach dem Abschluss der Lektüre.


Das Mädchen mit dem blonden Roßschwanz.“


Dann kommt die Schiffsreise aus New York nach Paris, an Bord trifft er auf Sabeth, „das Mädchen mit dem blonden Roßschwanz“19 Er sucht sie wieder in Paris im Louvre Museum (obwohl er prinzipiell solche Institutionen vermeidet) und nachher entschlosen sich zusammen, eine „Bildungsreise“ durch Südfrankreich, Italien und Griechenland zu unternehmen. Sabeth, resolut entschlossen, diese „Reise“ auszunutzen, und dem Homo Faber einen Genuss Italiens beizubringen, der sich nicht nur auf den Konsum von Campari reduziert.



Ist die Dame in der „Geburt der Venus“ von Botticelli vielleicht die Quelle für die Gestaltung der Figur des „Mädchens mit den blonden Roßschwanz?

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Die allerwichtigsten „Signale“ erscheinen doch in Rom, im Museo Nazionale Romano. Walter Faber scheint zum ersten Mal doch von „Kunst“ ergriffen zu werden. Es ist Die Geburt der Venus auf dem Thron Ludovisi, das Kunstwerk das ihm doch „zuspricht“:



Vor allem das Mädchen auf der Seite, Flötenbläserin, fand ich entzückend. (…) Kopf einer schlafenden Erinnye. Das war meine Entdeckung (im selben Seitensaal,links) (…) Hier fand ich : Großartig, ganz großartig, beeindruckend, famos, tief. Es war ein steinerner Mädchenkopf, so gelegt, dass man drauf blick wie auf das Gesicht einer schlafenden Frau, wenn man sich auf die Ellbogen stützt. (…) Wenn Sabeth (oder sonst jemand) bei der Geburt der Venus steht, gibt es Schatten, das Gesicht der schlafenden Erinnye wirkt, infolge einseitigen Lichteinfalls, sofort viel wacher, lebendiger, geradezu wild“.20

 

 



Hier wird der Kontrast zwischen Leben (Lieben) und Tod betont, durch die Rachegöttin Erinnye, eine von den Römern genannten Furien (Furia: Wut). Es bezieht sich vor allem auf die Erinnye Tisiphone (Τισιφόνη), „die Vergeltung“, angedeutet, da sie häufig mit Hundekopf dargestellt wird. Und Hunde spielen im Roman eine gewichtige Rolle, sei es in den Erinnerungen Walter Fabers o oder in Akrokorinth, Griechenland, als sie sich entschlossen „unter einem Feigenbaum zu schlafen“21, und auf den Sonnenaufgang zu warten, begleitet von „das Gebell von Hirtenhunden“, die Faber und Sabeth in die Höhe des Berges treiben. Diese „Nachtwache“, geschildert in den Seiten 150-152, erreicht echte, berührende Dichtung. Warum? Da ist die Liebe (ganz metaphysisch) einfach am Werk.


Über den Mythos Ödipus, das Zerbrechen der Einseitigkeit des Verstandes des Homo Faber und die ‒‒ ganz unerwartet ‒‒Erscheinung Gottes.


Ein Roman, jedoch, der uns eine neue „griechische Tragödie“ (basiert auf eine „alte“...) vorstellt. Es geht um den Mythos Ödipus, der hier re-kreiert wird, sogar aber dem eine neue Facette hinzugefügt. Geht es doch um eine subtile und raffinierte Diskussion, ob das Subjektive (das Bewusstsein, der Wille) Primat über das Objektive (der körperliche Beischlaf) verlangt? Entweder der Vater oder die Tochter wussten es, daher gab es keinen Willen. Eher doch ein „Unfall“, zweifellos mit gravierenden Konsequenzen für die Psyche des Walter Fabers und seine ehemals jüdische Freundin, Hanna, die Mutter von Sabeth.

Wieder eine Flashforward, Seite 72, obwohl die wichtigsten Etappen der Wanderung mit der jungen Dame noch bevorstehen:

Was ändert es, dass ich meine Ahnungslosigkeit beweise, mein Nichtwissenkönnen? Ich habe das Leben meines Kindes vernichtet und ich kann es nie wiedergutmachen. Wozu noch ein Bericht? Ich war nicht verliebt in das Mädchen mit dem rötlichen Roßschwanz, sie war mir aufgefallen, nichts weiter, ich konnte nicht ahnen, dass sie meine eigene Tochter ist, ich wusste ja nicht einmal, dass ich Vater bin. Wieso Fügung?“22

Nota bene: Hier spricht Faber von einem "rötlichen Roßschwanz", obwohl bei der erster Begenung auf dem Schiff geht es um einen "blonden Roßschwanz".


Es ist unbestreitbar nicht der Fall, Max Frisch wolle irgendwelche sexuelle Resonanz aus dem „Unfall“ skandalös hervortreten lassen Es ging, vor allem, um die Konfrontation jenes Homo Fabers mit einem „Zufall“, dessen Wahrscheinlichkeit als 1:60.000.000 beziffert werden könnte, also ein „Ereignis“ welches für den Homo Faber als „unmöglich“ eingestuft wird. Und trotzdem passiert es.

Also nun, es gibt doch Schicksal, es gibt „Fügung“, ein Wort, das Walter Faber oft anwendete, zuerst abwertend.


Und dieses „Schicksal“ wird schon sehr früh annonciert. Zuerst der Zwischenstopp im Flughafen Dallas, auf dem Weg nach Mexiko, eine Maladie tritt ein, „keine Lust zum Weitereisen“, Faber verbarrikadiert sich in einer Toilette, und wird dann von Stewardessen zurück ins Flugzeug mitgeschleppt. Im Innigsten wird gefürchtet, dass das Weiterreisen zu einer Entlarvung und Wiederkehr der Vergangenheit führen könnte.


Dann der Absturz, das „Crash-Landing“, es gilt als „Vorzeichen“ einer noch-zu-kommenden, steiler, ominösen „Landung“. Dieses Sammelsurium von unwahrscheinlichen „Zufällen“, das die mathematischen Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung, der Probabilistik, schockierend erschüttert, führt zum systematischen geistigen Zusammenbrechen des Ingenieurs.


Was ist ein Homo Faber? Ist er der Vater des Homo Artificialis Intellectvs?



Ist die Figur des Homo Faber vielleicht ein wenig allzu stereotypisch, allzu „schwarz-weiß“? Fehlt es denn da an irgendwelche Nuancierungen von der Farben „Grau“? Am Anfang steht da fast ein unverbesserlicher Banause:

Ich mache mir nichts aus Romanen – so wenig wie aus Träumen“23


Ich glaube nicht an Fügung und Schicksal, als Techniker bin ich daran gewöhnt mit den Formeln der Wahrscheinlichkeit zu rechnen.“24


Ein Mensch, der den Louvre nicht kennt, weil er sich nichts draus macht, das gibt es einfach nicht; Sabeth meint…“25

Ich bin kein Kunsthistoriker.“26

Der Homo Faber (Latein: „Handwerker“, „Verfertiger“) als anthropologischer Begriff scheint schon von dem französischen Philosophen Henri Bergson in 1907 angewandt worden zu sein. Max Scheler präzisierte in 1928 die Kategorie des Homo Faber als einen Menschen, der nur eine solide praktische Intelligenz bezieht, daher ein handwerkliches Geschick.

Lassen wir uns den Begriff weiter ergänzen und verfeinern. Der Homo Faber erfindet ständig neue Werkzeuge, um die materielle Ausnutzung der Welt weiter voranzutreiben. Also die die ganze Welt denn in eine „Fabrica“ (Fabrik) zu verwandeln. Aus dem Roman von Max Frisch entsteht eine präzisere Gestalt, diejenige eines unmusischen Menschen. Es gibt nur Eines, das diesen Menschen nuancieren und zum Träumen führen kann: Die Liebe.


Es ist zu spät. Im Gespräch mit der Mutter von Sabeth:

ich sehe nur“, sage ich, „was da ist: deine Wohnung, deine wissenschaftliche Arbeit, deine Tochter - du solltest Gott danken!“ (…) „Walter, seit wann glaubst du an Gott?27

Der Homo Faber wird heutzutage von dem Homo Artificialis Intellectvs ersetzt, jemand der glaubt, dass die heutige „künstliche Intelligenz“ alles kalkulieren, lösen, voraussagen kann. Nicht aber die Begegnung mit …


Leider wird Max Frisch nicht mehr da sein.

1Einer der „Syntaxfehler“, die manchmal im „Bericht“ auftauchen, vom Autor als Beweise konzipiert, dass es einem „Homo Faber“ nicht gelingen kann, immer „gutes Deutsch“ auf den Tisch zu legen.

2Seiten 49-50. Homo faber. Ein Bericht, Max Frisch, erste Ausgabe 1957, Suhrkamp Taschenbuch, 1977,

3Sollte eigentlich „était“ sein.

4„Hernán Cortés de Monroy y Pizarro Altamirano, „Generalgouverneur von Neu Spanien zwischen 1521 und 1530. Der Vorname kann auch als Hernando oder Fernando angegeben, der Familiennamen auch als „Cortez“.

5Homo faber, 1977, Seite 50.

6Ob die Montage von Turbinen in Venezuela und ähnliche Aktivitäten mit der „Unesco“ verbunden werden konnten, bleibt ein Fragezeichen.

7Seite 7.

8Seite 10.

9Seite 47.

10Entspricht auch dem vitae Max Frisch’.

11Seite 56.

12 Zum Beispiel, Manfred Leber: Vom modernen Roman zur antiken Tragödie. Interpretation von Max Frischs „Homo faber“. De Gruyter, Berlin 1990, ISBN 3-11-012240-5

13Seite 20.

14Seite 34.

15Seite 34.

16Seite 37.

17Seite 42.

18 flash-forward 22 Seite. 64 72

19Seite 69.

20Seite 111.

21Sete 150. Um nur die Symbolik des „Feigenbaums“ präziser darzustellen brauchen wir mehrere Seiten. Es genüge, zu erwähnen, dass als Adam und Eva aus dem Paradies rausgeworfen wurden, trugen sie Feigenbaumblätter, um ihre Genitalien zu bedecken.

22Seite 72.

23Seite 15.

24Seite 22.

25Seite 76.

26Seite 42.

27Seite 144. Gespräch mit Hanna. Unsere Unterstreichung.





CLASSICS REVISITED

VIRGINIA WOOLF, "A ROOM OF ONE’S OWN": OR RATHER, "A LIFE OF ONE’S OWN".

  VIRGINIA WOOLF, A ROOM OF ONE’S OWN : OR RATHER, A LIFE OF ONE’S OWN. 52 Tavistock Square, London, WC1, a pla...